Mitgliederversammlung bei Borussia Dortmund
Schnell weiter zur Tagesordnung
Die Mitglieder des BVB haben entschieden: Hans-Joachim „Aki“ Watzke ist nun offiziell Vereinspräsident. Ein Schritt, der erwartbar war – und doch weit mehr Sprengkraft besitzt, als es die harmonisch organisierte Mitgliederversammlung vermuten lässt. Denn die 20 Jahre, die Watzke als Geschäftsführer prägten, vergessen die Fans ihm nicht. In doppelter Hinsicht.
I. Der Tag, an dem alles schon entschieden war
In Dortmund überrascht selten eine Wahl. Nicht, wenn Aki Watzke zur Abstimmung steht.
Er hat den Verein durch eine Insolvenz geführt, ihn wirtschaftlich saniert, zum globalen Unternehmen geformt und sportlich zwischen Sensation und Enttäuschung navigiert.
Dass die Mitglieder ihn an die Spitze des eingetragenen Vereins wählen würden, war kein politischer Krimi – es war ein Ritual. Eine Bestätigung einer Machtfigur, die den BVB zwei Jahrzehnte geprägt hat wie kaum jemand zuvor.
Doch was wie ein reiner Formalakt wirkt, ist ein symbolischer Wendepunkt.
Denn der BVB bekommt keinen neuen Präsidenten.
Er bekommt denselben Mann in einer neuen Rolle.
Und damit dieselben offenen Fragen – in einem neuen Gewand.
II. Watzke – Erneuerer, Architekt, Machtmensch
Über Aki Watzke existieren in Dortmund zwei gegensätzliche Erzählungen – und beide stimmen.
1. Watzke, der Retter
2005 steht Borussia Dortmund am Abgrund. Ein wirtschaftliches Wrack, ein organisatorisches Chaos, ein sportlich ausblutender Verein.
Watzke übernimmt.
Watzke saniert.
Watzke rettet.
Er macht aus einem taumelnden Riesen wieder einen Giganten, führt den Klub zurück in die Champions League, ermöglicht Klopp eine der emotionalsten BVB-Ären seit den 90ern.
2. Watzke, der Politiker
Doch dieselbe Person wird von anderen Fans kritisch gesehen:
als machtbewusster Funktionär,
als Strippenzieher,
als Gesicht eines Vereins, der sich zunehmend wie ein Konzern anfühlt.
Beides stimmt.
Beides prägt den Verein.
Beides hängt an ihm.
III. Der BVB – Verein oder Unternehmen?
Kein anderer Klub in Deutschland lebt das Spannungsfeld zwischen Tradition und Kommerz so intensiv wie Borussia Dortmund.
Auf der einen Seite:
– der eingetragene Verein,
– Mitglieder,
– Fankultur,
– Werte,
– Mitbestimmung.
Auf der anderen Seite:
– die börsennotierte KGaA,
– internationale Investoren,
– TV-Millionen,
– Marketingstrategie,
– Markenarchitektur.
Und nirgendwo prallen beide Welten so direkt aufeinander wie in dieser Personalie:
Der Präsident des e.V. ist gleichzeitig Machtfigur im Unternehmen.
Ein Modell, das modern wirkt – aber Fragen erzeugt, die niemand auf der Mitgliederversammlung stellen wollte.
IV. Die Mitglieder haben abgestimmt – aber haben sie gewählt?
Ja, die Wahl war demokratisch.
Nein, sie war nicht kontrovers.
Es gab keine ernsthaften Gegenkandidaten.
Keinen inneren Konflikt.
Keine echte Debatte.
Die Mitglieder haben nicht über eine Person abgestimmt, sondern über eine Kontinuität.
Über einen Mann, der längst allgegenwärtig ist.
Die Wahl sagt weniger über Watzke aus – als über die Sehnsucht nach Stabilität.
V. Die Fans vergessen nicht – im Guten wie im Schlechten
Watzke ist keine neutrale Figur.
Er ist ein Symptom des Dortmunder Fußballs.
1. Der Erneuerer
Er hat Dortmund gerettet.
Er hat Titel ermöglicht.
Er hat Identität gebaut.
2. Der Dauerverwalter
Seit Klopp gleicht der BVB einem gigantischen „Fast“-Verein.
Fast Meister.
Fast Pokalsieg.
Fast Sensation.
3. Der Machtmensch
Fanproteste gegen Montagsspiele?
Watzke mittig.
DFL-Investorendebatte?
Watzke zentral.
50+1?
Watzke: Vermittler, Interpret, Gatekeeper.
Und die Fans spüren:
Dieser Mann ist der BVB.
Im Guten. Und im Schlechten.
VI. Die Wahl spricht nicht für Watzke – sie spricht für Ruhe
Die Mitglieder wollen keinen Umbruch.
Sie wollen keine Experimente im e.V.
Sie wollen keine Unsicherheit.
Sie wollen jemanden, der das System kennt – weil er es gebaut hat.
Es ist eine Wahl, die sagt:
„Bitte keine Unruhe.“
Und das ist in Dortmund ein legitimer Wunsch.
Aber auch ein riskanter.
VII. Warum die Mitgliederversammlung so unspektakulär wirkte
Man könnte glauben, im Saal habe man einen Versicherungsverein und keinen Fußballgiganten vor sich:
- Keine hitzigen Wortbeiträge
- Keine kritischen Anträge
- Keine unruhigen Zwischenrufe
- Keine emotionalen Reden
- Keine echte Opposition
Es wirkte, als gäbe es ein gemeinsames Verständnis:
„Lasst uns das schnell klären und zur Tagesordnung übergehen.“
Aber genau darin liegt die Gefahr:
Ein Verein, der nicht diskutiert, verlernt irgendwann, Fragen zu stellen.
VIII. Die Kritik wurde nicht leiser – nur höflicher
Dortmund ist ein Verein, in dem die Fans oft härter lieben als sie kritisieren.
Doch beides passiert – gleichzeitig.
Die Kritik an Watzke ist weiterhin da:
- zu viel Machtkonzentration
- unklare sportliche Linie
- fehlende Innovationskraft
- Nähe zur DFL-Politik
- unschärfere Haltung zu Kommerzialisierung
- Verein wird als Marke statt als Gemeinschaft wahrgenommen
Doch niemand wollte diese Punkte auf der MV aussprechen.
Aus Respekt.
Aus Müdigkeit.
Oder aus Pragmatismus.
IX. Watzkes neue Rolle – und die alte Frage
Als Präsident muss Watzke jetzt einen anderen Stil finden.
Nicht führen – sondern repräsentieren.
Nicht anweisen – sondern zuhören.
Nicht handeln – sondern moderieren.
Seine größte Aufgabe wird nicht finanziell sein.
Nicht sportlich.
Sondern identitär:
Was soll der BVB in Zukunft sein?
- ein Champions-League-Akteur?
- ein Ausbildungsverein?
- ein Traditionsklub?
- ein globales Label?
- ein Fanverein?
- ein Wirtschaftsunternehmen?
Momentan ist Dortmund alles gleichzeitig.
Und dadurch nichts davon ganz.
X. Schluss: Die Tagesordnung war schnell abgearbeitet – die Fragen bleiben
Aki Watzke ist Präsident.
Es ging schnell.
Zu schnell vielleicht.
Denn die Wahl beantwortet keine Fragen – sie verschiebt sie.
- Wie modern ist der BVB wirklich?
- Kann ein Präsident neutral sein, wenn er zwei Jahrzehnte Geschäftsführer war?
- Wie abhängig ist der Verein von einer einzigen Person?
- Wie viel Tradition verträgt Kommerz?
- Wie viel Kommerz verträgt Tradition?
Die Mitgliederversammlung war ruhig.
Die Zukunft wird es nicht sein.

