Porträt

Im Unterhaus daheim – Warum Wolfgang Friedl dem Fußball der kleinen Plätze treu bleibt

Ein Porträt über einen Mann, der im Amateurfußball das findet, was viele Fans im Profibereich verloren haben.

Michael Koch1. Dezember 202510 Min.

IM UNTERHAUS DAHEIM

Es gibt Fußballkarrieren, die verschwinden leise. Ohne Pressefotos, ohne große Verabschiedung, ohne dass jemand im Stadion einen letzten Applaus spendet. Bei Wolfgang Friedl war es genau so. Und doch hat er nie aufgehört, den Fußball zu lieben. Nur die Perspektive hat sich verändert – von der Mittellinie auf die Seitenlinie, von der Kabine auf die Kantine, vom eigenen Spiel auf das Spiel anderer.

EIN START AUF DEN KLEINSTEN PLÄTZEN

Wolfgang Friedl wuchs in einer Welt auf, in der Fußball noch das einfachste aller Spiele war. Bälle, die immer zu weich waren. Plätze, die mehr braun als grün waren. Tore, die nach jedem Treffer wackelten. Sein erster Verein lag im Süden von Linz – ein klassischer Unterhausklub, tief verwurzelt in der 2. Klasse, einem jener Ligen, die nur Insider überhaupt kennen.

Er erinnert sich an Spiele, die nach verbranntem Gummi rochen, weil der Vereinsbus zu spät gebremst hatte. An Obmänner, die den Schiedsrichter ersetzten, weil der offizielle Referee im Stau steckte. Und an Gegner, die man eher an der Anzahl der Schnauzbärte als an der Anzahl der Punkte erkannte.

DAS ENDE DER KARRIERE – UND DER ANFANG EINER ANDEREN

Mit 27 war Schluss. Nicht, weil ihm der Fußball zu schnell wurde, sondern weil der Körper zu langsam heilte. Verletzungen, die nicht verschwanden, sondern sich in den Alltag fraßen. Friedl hörte auf – ohne Drama, ohne Abschiedsrede, ohne Bedauern.

Er sagt selbst: Das Talent war nie besonders groß. Die Leidenschaft dagegen riesig.

Doch anstatt sich vom Spiel zu lösen, rückte er näher an es heran.

Nicht mehr als Akteur. Als Beobachter. Als Fan.

VOM SPIELER ZUM STADIONGEHER

Was Friedl auszeichnet: Er ist kein Romantiker, der der Vergangenheit nachtrauert. Er ist ein Realist, der weiß, dass der Fußball im Fernsehen für ihn nie das sein wird, was die Spiele am Land sind. Fernsehmikrofone können nicht einfangen, was ein Kantinenhendl in der Pause transportiert. Und eine Champions-League-Hymne kann nicht ersetzen, was ein geschäftiger Platzsprecher erzeugt, der aus Nervosität das Heimteam „herzlich begrüßt“ – obwohl es auswärts spielt.

Friedl geht selten in große Stadien. Wenn, dann nach Wien, zu Rapid, dem einzigen Profiverein, der ihn emotional wirklich erreicht hat. Doch sein Herz schlägt woanders: auf den Plätzen der zweiten, dritten und vierten Liga, wo Menschen Fußball spielen, ohne Sponsorenverträge, aber mit echter Hingabe.

EIN LEBEN IM REGIONALFUSSBALL

Heute lebt Friedl im Mostviertel. Und dort verbringt er die Wochenenden so regelmäßig auf Sportplätzen, wie andere Leute im Supermarkt stehen. Sein Lieblingsverein? Einer, den man kennen muss, um ihn zu kennen: die SVg Purgstall. Ein Team in der 2. Landesliga, mit Spielern, die morgens im Büro sitzen und abends im Regen trainieren.

Friedl verpasst kaum ein Spiel. Er kennt die Namen der Ersatzspieler, die Altersstruktur des Kaders, die Schankkräfte und die Leute hinter der Platzkassa. Und er weiß, welche Kantine Pommes kann und welche nicht.

„Das Unterhaus ist ehrlich“, sagt er.

Und man spürt, dass das keine Floskel ist.

DER REIZ DES KLEINEN

Warum ausgerechnet die unteren Ligen?

Friedl erklärt es so:

Es sind die Gespräche in der Kantine, die man nur dort hört.

Es sind die Schiedsrichter, die mit dem Rad zum Platz fahren.

Es sind Vereinsfunktionäre, die gleichzeitig Ordner, Stadionsprecher und Psychologen sind.

Es sind die Zuschauer, die niemand beeindrucken müssen, sondern einfach dazugehören wollen.

Der Fußball im Unterhaus ist nicht frei von Fehlern – aber frei von Ablenkung. Er ist roh, manchmal chaotisch, oft überraschend. Aber vor allem ist er nah.

EIN FREUNDESKREIS AUF FUSSBALLPLÄTZEN

Mindestens einmal im Jahr organisiert Friedl einen „Wiener Fußball-Nachmittag“. Eine Gruppe von Freunden fährt quer durch die Hauptstadt, sucht unterklassige Partien, sammelt Plätze, erlebt Menschen und Geschichten. Zwölf Jahre machen sie das schon.

Die Gruppe kennt mittlerweile Stadien, die selbst Google Maps zweimal suchen müsste. Plätze, die nach eingestürzten Tribünen riechen. Bolzplätze, die vergessen wirken. Und Fußball, der echter nicht sein könnte.

Für Friedl ist das ein Ritual – eines, das seinen Blick auf den Sport klar hält.

DER FERNSEH-FUSSBALL BLEIBT FERN

Während viele Fußballfans heute stundenlang TV-Analysen verschlingen, interessiert sie das internationale Geschäft kaum noch. Friedl gehört zu denen, die sagen: „Ich schaue fast keinen Fußball im Fernsehen.“ Die Überdosis Geld schreckt ihn ab. Die Macht der Konzerne. Die sterile Präsentation. Das alles hat wenig mit dem zu tun, was ihn am Spiel fasziniert hat.

Rapid ist die Ausnahme. Rapid ist Gefühl. Tradition. Chaos. Leidenschaft. Alles das, was der Fernsehsport verloren hat. Aber Rapid ist für Friedl der Profifußball-Ausflug – nicht der Alltag.

DER FAN, DER DEN FUSSBALL ANDERS LIEBT

Friedl ist ein Fußballmensch, weil er Geschichten liebt – nicht Ergebnisse. Weil er Wege liebt – nicht Tabellen. Sein Fußball braucht keinen Videobeweis, keine Sponsorenwände, keine LED-Banden. Er braucht Menschen.

Sein Blick auf den Sport ist nicht nostalgisch, sondern bewusst. Er entscheidet sich aktiv gegen den globalen Fußball – und aktiv für das kleine Spiel. Für das ungeschliffene, das kantige, das charmante.

FAZIT: EIN MANN DES UNTERHAUSES

Wolfgang Friedl erinnert daran, dass Fußball auch dann funktioniert, wenn man ihm alles nimmt, was ihn groß gemacht hat. Er zeigt, dass man ein Leben lang Fan sein kann, ohne je ein Champions-League-Spiel live gesehen zu haben. Und dass wahre Leidenschaft nicht mit dem Kickern aufhört, sondern dort beginnt, wo das Flutlicht alt, das Bier billig und die Gespräche ehrlich sind.

Er ist nicht im Fernsehen zu sehen. Nicht in der Kurve der großen Klubs. Aber er ist dort, wo Fußball lebt – an den Rändern, auf den Dorfplätzen, in den Geschichten der kleinen Vereine.

Und genau dort ist er zuhause.

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Michael Koch

Redakteur bei KickKultur