Reportage

„Du wirst panisch, wenn du nichts Greifbares mehr hast“ – Fabian über mentale Gesundheit im NLZ

Fortunas NLZ-Chef spricht über Druck, Identität, Verletzungen und die Verantwortung im Nachwuchsfußball.

Julia Wagner28. November 202514 Min.

**„Du wirst panisch, wenn du nichts Greifbares mehr hast“

Fabian über mentale Gesundheit im Nachwuchsfußball**

Es gibt Karrieren, die werden durch Tore, Titel und Schlagzeilen definiert. Und es gibt Karrieren wie die von Patrick Fabian: geformt durch Schmerzen, Rückschläge, Zweifel – und durch die Kraft, wieder aufzustehen. Vier Kreuzbandrisse als Spieler, ein Burnout-ähnlicher Zustand als Funktionär, ein jahrelanger Kampf mit Erwartungen, die von außen wie von innen kamen.

Heute ist Patrick Fabian Chef des Nachwuchsleistungszentrums von **Fortuna Düsseldorf**. Eine Position mit Verantwortung, Einfluss – und einer klaren Mission: mentale Gesundheit im Nachwuchsfußball nicht mehr als Randthema zu behandeln, sondern als Kern des Systems.

I. Eine Fußballkarriere, die im Körper begann – und im Kopf weiterging

Fabian war Verteidiger. Robust, kompromisslos, ruhig. Einer, der das Spiel verstand – und einer, dessen Knie immer wieder zusammenbrachen.

Vier Kreuzbandrisse sind für viele Spieler ein Karriereende. Für ihn waren sie der Anfang eines Lernprozesses.

Er sagt heute:

> „Wenn du dich ständig fragst, ob dein Körper dich im Stich lässt, wirst du irgendwann misstrauisch gegenüber dir selbst.“

Die Verletzungen brachten ihn in Phasen, in denen Fußball nicht mehr Beruf war, sondern Bedrohung. In denen er sich fragte:

- „Bin ich überhaupt noch derselbe Spieler?“

- „Wie lange hält mein Knie?“

- „Warum trifft es immer mich?“

Und irgendwann:

**„Wer bin ich, wenn ich nicht Fußballer bin?“**

Diese Frage kehrt in fast jedem seiner heutigen Gespräche mit Spielern wieder.

II. Der Absturz nach der Karriere – und der Moment, der alles veränderte

Nach seinem Karriereende ging Fabian direkt ins Funktionsteam des **VfL Bochum**. Analysen, Meetings, Kaderplanung – alles, was zuvor von außen glamourös wirkte, packte ihn mit voller Wucht.

Er erzählt:

> „Als Spieler war ich verletzt – als Funktionär war ich leer.“

Das klingt hart. Aber es ist die Realität vieler Ex-Profis.

Ohne Kabine, ohne Routine, ohne Adrenalin entsteht ein Vakuum, das erst unbemerkt bleibt – und dann explodiert.

Fabian beschreibt diese Zeit als seine „schlimmste Phase“:

- Schlaflosigkeit

- innere Unruhe

- das Gefühl, ständig funktionieren zu müssen

- keine Pause, kein Ausstieg

- ein mentaler Druck, den niemand sah

Er brauchte eine Auszeit.

Er nahm sie.

Und er kehrte verändert zurück.

Mit einem neuen Ziel.

Und einem neuen Verständnis von Stärke.

III. „Mentale Gesundheit ist kein Extra – sie ist das Fundament“

Heute leitet er die Ausbildung von hunderten Jugendlichen.

Jungs zwischen 12 und 19 Jahren.

Jungs, die träumen.

Jungs, die scheitern.

Jungs, die funktionieren wollen.

Fabian sagt:

> „Wir sprechen mit ihnen über Pressing und Passwinkel, aber kaum über Identität und Angst.“

Dabei ist der Druck gigantisch.

Schon mit 14 beginnen Vergleiche, Rankings, Videoanalysen.

Mit 16 geht es um Verträge.

Mit 18 um Existenzen.

Er beschreibt Situationen von Talenten:

- ein Spieler bricht nach einer schlechten Trainingswoche in Tränen aus

- ein Spieler hat Bauchschmerzen vor jedem Spiel

- ein Spieler will sich „unsichtbar machen“, um Fehler zu vermeiden

- ein Spieler hat Angst, Trainer oder Eltern zu enttäuschen

- ein Spieler weiß nicht, wer er ist, wenn er auf dem Platz nicht glänzt

Diese Situationen sind nicht die Ausnahme.

Sie sind Alltag.

IV. Die gefährlichste Frage im NLZ: „Bin ich gut genug?“

Die größte psychische Belastung entsteht nicht durch Spiele, sondern durch die permanente Selbstbewertung.

Ein Spieler in Fabians Zentrum formulierte es so:

> „Ich habe Angst vor jedem Mittwoch, weil da die Kaderliste kommt.“

Das Problem ist nicht die Kaderliste.

Das Problem ist die **Abhängigkeit vom Urteil anderer**.

Fabian sieht täglich, wie früh Talente ihre ganze Identität auf Fußball reduzieren:

- „Fußballer“ statt „Jugendlicher“

- „Leistung“ statt „Entwicklung“

- „Wettbewerb“ statt „Gemeinschaft“

Er sagt:

> „Wenn du nur Fußball bist, wirst du panisch, wenn du nichts Greifbares mehr hast.“

V. Warum mentale Gesundheit im Nachwuchs oft tabu bleibt

Es gibt drei Gründe:

### **1. Das System ist selektiv**

NLZs sortieren aus:

mit 14, 16, 18.

Wer Schwäche zeigt, fürchtet Nachteile.

### **2. Eltern erzeugen zusätzlichen Druck**

Viele leben den Traum ihrer Kinder mehr als die Kinder selbst.

### **3. Trainer wurden nie geschult**

„Mentale Gesundheit“ war lange ein Wort aus Psychologiebüchern, nicht aus Kabinen.

Doch die Generationen ändern sich.

Spieler reden.

Und sie brauchen Gesprächspartner.

VI. Fortuna Düsseldorf baut Strukturen – die es früher nicht gab

Fabian hat klare Maßnahmen eingeführt:

- verpflichtende mentale Gesundheitseinheiten

- geschulte Ansprechpartner im NLZ

- anonyme Feedbackkanäle

- Elternschulungen

- Workshops zu Rollenidentität

- Einzelgespräche über Ängste und Druck

- „mentale Pausen“, die nicht sanktioniert werden

- klare Kommunikation statt autoritärer Strukturen

Er sagt:

> „Es bringt nichts, wenn wir Talente fördern, aber Menschen verlieren.“

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VII. Vom Leistungsgedanken zur Verantwortung

Fabian weiß, dass ein NLZ kein Wellness-Ort ist.

Es ist ein Hochleistungsraum.

Aber er sagt:

> „Hochleistung funktioniert nur, wenn der Mensch stabil ist.“

Er kämpft dafür, dass Trainingsteams nicht nur nach Technik, sondern auch nach psychischer Belastung zusammenstellen.

Er kämpft dafür, dass Trainer Fehler nicht bestrafen, sondern einordnen.

Er kämpft dafür, dass Rückschläge nicht als Makel gelten, sondern als Lernschritte.

Und er kämpft dafür, dass Blicke auf den Menschen nicht nur dann fallen, wenn er Probleme macht – sondern vorher.

VIII. Was Fabian jungen Spielern wirklich mitgibt

In fast jedem Gespräch vermittelt er dieselben Kernbotschaften:

### **1. Dein Wert hängt nicht von Fußball ab.**

Nicht von Verträgen.

Nicht von Listen.

Nicht von Meinungen.

### **2. Erlaube dir Schwäche.**

Sie ist kein Nachteil.

Sie ist ein Signal.

### **3. Rede früh – nicht erst, wenn es brennt.**

### **4. Baue Identität neben dem Sport auf.**

Schule, Freunde, Hobbys – alles wichtig.

### **5. Rückschläge sind Teil des Systems – nicht das Ende.**

Fabian ist glaubwürdig, weil er selbst durch die Hölle ging.

IX. Warum der Fußball diese Offenheit jetzt braucht

Der Druck im Nachwuchs steigt:

- größere Konkurrenz

- Digitalisierung

- Vergleiche via Social Media

- permanente Bewertung

Spieler wachsen nicht mehr nur mit Trainerstimmen auf, sondern mit Kommentaren eines Millionenpublikums.

Wenn NLZs nicht gegensteuern,

werden Talente nicht mehr am Fuß scheitern –

sondern am Kopf.

Fabian sagt:

> „Wir produzieren keine Maschinen. Wir begleiten Menschen.“

X. Fazit – Der Fußball braucht keine härteren Spieler. Er braucht ehrlichere Strukturen.

Fabian steht nicht nur für eine neue Generation von NLZ-Verantwortlichen –

er steht für einen Kulturwandel.

Einen Wandel hin zu:

- Offenheit

- Betreuung

- Verantwortung

- langfristigem Denken

Fußball kann Grenzen setzen – aber er darf keine Menschen brechen.

Mentale Gesundheit ist kein Zusatz,

kein Goodie,

kein psychologisches Extra.

Sie ist die Basis.

Für Leistung.

Für Stabilität.

Für ein Leben nach der Karriere.

Für ein System, das funktionieren soll, ohne Menschen zu überfordern.

Fabian hat es selbst erlebt.

Und er will verhindern, dass andere dieselben Fehler machen müssen.

J

Julia Wagner

Redakteur bei KickKultur